Lesung Kreatives Schreiben
"In welchem Deutschkurs bist du?" - "Kreatives Schreiben. Bei Herrn Senkbeil."
Was heißt das eigentlich? Womit beschäftigen sich die Kollegiaten das Schuljahr über? Was hat eine vielbefahrene und vielbebaute Station, das Bahnhofsgegenstück des BER Hauptstadflughafens, damit zu tun?
Bei der Lesung Stimmengewirr Ostkreuz erhielten wir eine Antwort. Selbstkritisch, humorvoll, vielseitig.
Die Texte zeigten eine Bandbreite an Themen und Beobachtungen - trotz, oder gerade wegen, des Fokusses auf einen gemeinsamen Ort... Den Zuhörern stellte sich vielleicht die Frage, ob sie je selbst so intensiv über den Alltag ihrer Stadt nachdachten. Den Applaus, jedenfalls, hatten sich unsere Kollegiaten verdient.
Wir hoffen auch im kommenden Jahr eine so produktive Schreibgruppe begleiten zu drüfen.
Hier ein paar Auszüge als Kostproben, welche die Veranstaltung im Chor eröffneten und in den Ohren hängenblieben:
„Ringbahnlinie 41 zurückbleiben bitte“ (David E.)
Einer freundlichen Stimme in Berlin traut man nicht, außer sie ist eine computergenerierte Bandansage... (Jesko)
Für mich ist das Ostkreuz ein Symbol. Wofür, ist selten am Schnittpunkt der unruhigen Arme zu greifen, sondern spannt sich zwischen ihnen auf: Berliner Kontraste. (Ronja)Die Bahn poltert über das Schienennetz von Berlin und die träge Masse der Waggons regt die Leute zum Mitschunkeln an und lässt sie jede Unebenheit in den Schienen kollektiv abnicken.(Jesco)
Wo die Sonne aufgeht und scheint, muss es auch dunkle Ecken geben. Vom Ostkreuz aus betrachtet sieht man die Schattenkante besonders scharf. (Ronja)
Die ganzen "Freaks", also die "Arbeitszombies" stürmen raus und rein in die S-Bahn. Immer unter Strom. Immer schön zielorientiert. Steht man endlich draußen, erstrahlt der Bahnhof in einem... ja nun... er ist halt... also ziemlich... grau. (Andrada)
„Töte den Investor in dir!“, liest man. Immer eine Straße zu spät. (Ronja)
Natürlich gibt es noch den obligatorischen Mc Donalds, von dem man sagt, dass er innerhalb einer Ringbahnfahrt auf einmal da stand... (Jesco)
Im Grunde ist dieser Ort nicht mal ein richtiger Bahnhof, sondern vielmehr eine Baustelle mit Transportgelegenheit. (Lena)
Wer dann lang genug durchs Schlüsselloch geschaut hat, kann dann unten beim Ketwurststand seinen Hunger stillen, dieser Imbisstand ist wohl mittlerweile genauso denkmalgeschützt, wie der Wasserturm (Jesco)
Ostkreuz ist Teil etwas Größerem, und Wir müssen aufhören immer alles durch den Strohhalm zu betrachten, sonder den Blick Globaler richten. Eine Freundin sagte mir mal, der Ring ist der Ehering für Berlin, und Ostkreuz ist der Diamant.... Mein Einwand: das erzhäl mal den Wessis, der Osten als Juwell... (Oliver)
Jeder hat ein Ziel, die nächste Bahn erwischen, schnell noch das neue Graffiti fertig kriegen oder endlich wenigstens eine Baustelle beenden. (Ronja)
Es sind die rostigen Stahlträger und verschlissenen Holzbänke, welche mich an einen Ort erinnern... (Henry)
„Gar keine Bewegung ist besser als Treppe runter – schont die Gelenke“, sagt ein im Zug stehender Zugezogener zu seinem Kumpel.
„Erst mal müssen wa an denen da vorbeikommen“, antwortet dieser und deutet mit dem Kopf auf die draußen kreisende Schar dieser Geier.
„Wie? Machen die etwa keinen Platz, wenn die Türen aufgehen?“, fragt der Zugezogene naiv.
„Siehste glei“... (David E.)Das Beste wäre es doch, den Bahnhof wie den einer Achterbahn nachzubauen. Eine Seite rein, andere Seite raus. Erst aussteigen lassen, dann einsteigen lassen. Dann können die Leute eigentlich gar nichts mehr falsch machen. (David E. / Juliane)
Eigentlich müssten die Gleise rausgerissen und an deren Stelle Radwege langezogen werden. Dann wären die Leute nicht nur viel ausgeglichener, sondern würden die Zeit vielleicht auch wieder als etwas Entbehrliches betrachten. (David E.)
Einstein hatte einmal gesagt, dass es zwei Dinge gäbe, die unendlich wären: Das Universum und die menschliche Dummheit, wobei er sich beim Universum noch nicht so ganz sicher war. Tatsächlich aber gibt es drei Dinge, die unendlich sind: Das Universum, die menschliche Dummheit und die Daseinsberechtigung für Berliner Baustellen. (Lena)
Das Wetter ist auch nur noch eine Fassade (Jesco)
Das Herz der Stadt ist Ostkreuz. Jede Bahn ist ein Schlag, der das Leben hundertfach transportiert. Sobald sich die Türen öffnen strömt es hervor, eilen und drängen zur nächsten Bahn, zum nächsten Pulsen des Herzens um zum nächsten Ort zu gelangen. Doch das Herz ist und bleibt Ostkreuz, das unaufhörlich die Stadt mit Leben versorgt. (David P.)Wobei der Bahnhof selbst schon die komprimierte Version der Hauptstadt ist. Es ist laut, es gibt viele Menschen und hier verändert sich alles unaufhörlich... (Jesco)
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Fotos: Jörg Köhler